Nachdem nun von Lemony Snicket das Buch "A Series of Unfortunate Events" verfilmt worden ist,
ist es denke ich auch an der Zeit es auch hier in der Bücherecke vorzustellen.
Von den inzwischen 11 Büchern der Serie "Eine Reihe bedrohlicher Ereignisse" über die
Geschwister Violet, Klaus und Sunny Baudelaire sind hierzulande drei in deutscher Sprache
erschienen.
Allem Anschein ein ähnlicher Erfolg wie bei Joanne K. Rowling in den USA.
Das erste Buch der Serie
Der schreckliche Anfang
ist bei
Amazon.de für 13,00 €
erhältlich.
Hauptfiguren sind die Geschwister Violet, Klaus und Sunny Baudelaire. Sie sind, wie Lemony Snicket uns versichert, “klug, charmant und einfallsreich, sie sehen reizend aus, aber sie hatten äußerst wenig Glück.” Und das ist noch ausgesprochen zurückhaltend formuliert. Das Leben der drei Kinder ist das Musterbeispiel für eine Pechsträhne. Nach dem grausamen Tod ihrer Eltern sind sie völlig auf sich allein gestellt. Ihr Vormund, der vertrottelte Banker Mr. Poe, gibt sie bei ihrem vorgeblichen Verwandten Graf Olaf in Pflege. Der hat es jedoch nur auf das nicht unerhebliche Erbe der Baudelaires abgesehen und macht ihnen das Leben zur Hölle. Dagegen kann auch die nette Nachbarin, die belesene Richterin Stauss, nur wenig ausrichten ...
Der schreckliche Anfang ist genau das, was der Titel verspricht: ein fürchterlicher Auftakt! Fürchterlich spannend, fürchterlich komisch und auf eine Art und Weise charmant und liebenswert wie kaum ein anderes Jugendbuch. Die Baudelaire-Kinder wachsen dem Leser innerhalb weniger Seiten ans Herz, und ihr Schicksal ist so lustig wie unglaublich. Kein Wunder, dass es Lemony Snicket im englischsprachigen Raum zum Kultstatus gebracht hat, der sich mit seiner Unauthorized Biography [0060007192] in ein äußerst geheimnisvolles Licht rückt. Kinder jeden Alters werden an Der schreckliche Anfang ihre Freude haben -- und bald über kein anderes Thema mehr diskutieren wollen!
Hier noch eine Leseprobe aus dem Buch:
Wenn du gern Geschichten mit einem Happy End liest, solltest du lieber zu einem anderen Buch greifen. In diesem gibt es kein Happy End, auch keinen glücklichen Anfang und nur wenig Erfreuliches mittendrin. Das liegt einfach daran, dass sich im Leben der drei Baudelaire-Kinder wenig Erfreuliches zugetragen hat. Violet, Klaus und Sunny waren klug, charmant und einfallsreich, sie sahen reizend aus, aber sie hatten äußerst wenig Glück. Im Gegenteil: Fast alles, was ihnen zustieß, strotzte nur so vor Unheil, Elend und Verzweiflung. Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber so war es nun einmal.
Ihr Unglück begann eines Tages an der Kahlen Küste. Die drei Baudelaire-Kinder lebten mit ihren Eltern in einer riesigen Villa mitten in einer dreckigen und geschäftigen Stadt, und gelegentlich erlaubten ihnen die Eltern, ganz allein mit einer rachitischen Straßenbahn – das Wort »rachitisch« bedeutet hier, wie du wahrscheinlich weißt, »wackelig« oder »kurz davor zusammenzubrechen« – ans Meer zu fahren, wo sie eine Art Ferientag verbringen durften, wenn sie nur rechtzeitig zum Abendessen nach Hause kämen. Der Vormittag, von dem hier die Rede sein soll, war grau und wolkenverhangen, was die Baudelaire-Kinder aber kein bisschen störte. An heißen und sonnigen Tagen war die Kahle Küste von Touristen übervölkert, und es war unmöglich, einen guten Platz zu finden, wo man seine Decke ausbreiten konnte. An grauen und wolkenbedeckten Tagen hatten die Baudelaire-Kinder dagegen den Strand ganz für sich und konnten tun, was sie wollten.
Violet Baudelaire, die Älteste, ließ gern Steine übers Wasser hüpfen. Wie die meisten Vierzehnjährigen war sie Rechtshänderin. Daher hüpften die Steine viel weiter über das trübe Wasser, wenn Violet die rechte, als wenn sie die linke Hand nahm. Während sie Steine hüpfen ließ, blickte sie zum Horizont hinaus und dachte über eine Erfindung nach, die sie machen wollte. Jeder, der Violet gut kannte, konnte sehen, dass sie angestrengt nachdachte, denn sie hatte ihr langes Haar mit einem Band zusammengebunden, um es aus den Augen zu halten. Violet war genial darin, merkwürdige Geräte zu erfinden und zu bauen. Darum gingen ihr häufig Bilder von Flaschenzügen, Hebeln und Zahnrädern durch den Kopf, und sie wollte davon nicht durch so etwas Nebensächliches wie ihre Haare abgelenkt werden. An diesem Vormittag grübelte sie darüber nach, wie sie eine Maschine konstruieren könnte, die einen Stein wieder zurückholte, den man ins Meer hatte hüpfen lassen.
Klaus Baudelaire, das mittlere der Kinder und der einzige Junge, hatte Spaß daran, Tiere in den Wassertümpeln zu untersuchen, die bei Ebbe zurückgeblieben waren. Er war etwas über zwölf Jahre alt und trug eine Brille, was ihn intelligent aussehen ließ. Er war aber auch intelligent. Die Baudelaire-Eltern hatten eine eindrucksvolle Bibliothek in ihrer Villa, einen Raum, angefüllt mit Tausenden von Büchern zu fast jedem Thema. Da Klaus erst zwölf war, hatte er natürlich noch nicht alle Bücher in dieser Bibliothek gelesen, aber doch eine ganze Reihe, und er hatte aus seiner Lektüre eine Fülle von Informationen behalten. Er wusste, wie man einen Alligator von einem Krokodil unterscheidet. Er wusste, wer Julius Caesar umgebracht hat. Und er wusste eine Menge über die winzigen, schleimigen Tiere, die an der Kahlen Küste zu finden waren und die er jetzt gerade beobachtete.
Sunny Baudelaire, die Jüngste, hatte die Angewohnheit, in Sachen zu beißen. Sie war noch ein Kleinkind und winzig für ihr Alter, kaum größer als ein Stiefel. Was ihr an Körpergröße fehlte, machte sie jedoch wett durch die Größe und Schärfe ihrer vier Zähne. Sunny war in dem Alter, in dem man überwiegend in einer Folge unverständlicher Kreischlaute spricht. Wenn sie nicht gerade die wenigen richtigen Wörter in ihrem Wortschatz wie »Flasche«, »Mami« und »beißen« benutzte, hatten die meisten Menschen Schwierigkeiten zu verstehen, was sie sagen wollte. An diesem Vormittag wiederholte sie zum Beispiel immer wieder »Gack«, was vermutlich bedeutete:
»Seht nur, die geheimnisvolle Gestalt, die aus dem Nebel auftaucht!«
Ganz richtig, in der Ferne konnte man auf dem dunstigen Strand der Kahlen Küste eine große Gestalt ausmachen, die auf die Baudelaire-Kinder zustrebte. Sunny hatte sie schon eine Zeit lang kreischend angestarrt, als Klaus von der stachligen Krabbe, die er beobachtete, aufblickte und sie ebenfalls sah. Er langte zu Violet hinüber, berührte sie am Arm und riss sie aus ihren Erfinderüberlegungen heraus.
»Schau dir das an«, sagte Klaus und zeigte auf die Gestalt. Sie kam näher, und die Kinder konnten schon ein paar Einzelheiten erkennen. Sie hatte in etwa die Größe eines Erwachsenen, nur der Kopf war unförmig und ziemlich eckig.
»Wofür hältst du das?«, fragte Violet.
»Ich weiß nicht«, sagte Klaus und kniff die Augen zusammen, »aber es scheint sich geradewegs auf uns zuzubewegen.«
»Wir sind allein am Strand«, sagte Violet ein wenig ängstlich. »Es gibt sonst niemanden, auf den es sich zubewegen könnte.« Sie fühlte den flachen, glatten Stein in der linken Hand, den sie gerade so weit wie möglich hüpfen lassen wollte. Sie hatte den plötzlichen Einfall, ihn auf die Gestalt zu werfen, weil sie so Furcht erregend wirkte.
»Sie scheint nur so schrecklich«, sagte Klaus, als könnte er die Gedanken seiner Schwester lesen, »weil es so neblig ist.«
So war es. Als die Gestalt bei ihnen war, stellten sie zu ihrer Erleichterung fest, dass es ganz und gar nichts Fürchterliches war, sondern jemand, den sie kannten: Mr. Poe. Er war ein Freund von Mr. und Mrs. Baudelaire, den die Kinder häufig bei Einladungen zum Abendessen getroffen hatten. Was die Kinder an ihren Eltern wirklich schätzten, war, dass sie ihre Kinder nicht wegschickten, wenn sie Besuch hatten, sondern ihnen gestatteten, bei den Erwachsenen am Tisch zu bleiben und sich an den Gesprächen zu beteiligen, solange sie nur beim Abräumen halfen. Die Kinder erinnerten sich an Mr. Poe, weil er immer erkältet war und sich bei Tisch ständig entschuldigte, um ins Nebenzimmer zu gehen und sich auszuhusten.
Mr. Poe nahm seinen Zylinder ab, der im Nebel seinen Kopf groß und eckig hatte erscheinen lassen, stand eine Weile da und hustete in ein weißes Taschentuch. Violet und Klaus traten vor, um ihm die Hand zu schütteln und guten Tag zu sagen.
»Guten Tag, wie geht es Ihnen?«, sagte Violet.
»Guten Tag, wie geht es Ihnen?«, sagte Klaus.
»Guda ge?«, sagte Sunny.
»Guten Tag, danke gut«, sagte Mr. Poe, sah dabei aber sehr traurig aus. Ein paar Sekunden lang sprach niemand, und die Kinder fragten sich, was Mr. Poe wohl an der Kahlen Küste zu suchen hatte. Eigentlich hätte er in der Stadt in der Bank sein sollen, wo er arbeitete. Er war auch nicht für den Strand gekleidet.
»Es ist ein schöner Tag«, sagte Violet schließlich, nur um Konversation zu machen. Sunny gab ein Geräusch wie ein ärgerlicher Vogel von sich, und Klaus hob sie hoch und hielt sie auf dem Arm.
»Ja, es ist ein schöner Tag«, sagte Mr. Poe geistesabwesend und starrte über den einsamen Strand. »Ich fürchte, ich habe eine sehr schlechte Nachricht für euch, Kinder.
Die drei Geschwister Baudelaire schauten ihn an. Violet spürte mit einem Gefühl der Verlegenheit den Stein in ihrer linken Hand und war froh, dass sie ihn nicht auf Mr. Poe geworfen hatte.
»Eure Eltern«, sagte Mr. Poe, »sind in einem schrecklichen Feuer verschieden.«
Die Kinder sagten nichts.
»Sie sind verschieden«, sagte Mr. Poe, »in einem Feuer, das das ganze Haus zerstört hat. Es tut mir furchtbar Leid, meine Lieben, dass ich euch das mitteilen muss.«
Violet wandte die Augen von Mr. Poe ab und starrte auf das Meer hinaus. Mr. Poe hatte die Baudelaire-Kinder nie vorher »meine Lieben« genannt. Sie verstand zwar seine Worte, glaubte aber, dass er scherzte, dass er sie und ihre Geschwister auf fürchterliche Weise zum Narren hielt.
»›Verschieden‹«, sagte Mr. Poe, »bedeutet ›umgekommen‹.«
»Wir wissen, was das Wort ›verschieden‹ bedeutet«, sagte Klaus ärgerlich. Das wusste er tatsächlich, er hatte allerdings noch Probleme damit, genau zu verstehen, was Mr. Poe gesagt hatte. Er hatte den Eindruck, dass sich Mr. Poe irgendwie versprochen haben müsste.
»Natürlich ist die Feuerwehr angerückt«, sagte Mr. Poe, »aber sie kam zu spät. Das ganze Haus brannte lichterloh. Es ist bis auf die Grundmauern abgebrannt.
Klaus stellte sich vor, wie all die Bücher in der Bibliothek in Flammen aufgingen. Nun würde er nie alle lesen können.
Mr. Poe hustete mehrmals in sein Taschentuch, bevor er fortfuhr: »Man hat mich hergeschickt, um euch von hier zurückzuholen und in meine Wohnung zu bringen. Dort werdet ihr eine Weile bleiben, bis wir uns eine Lösung überlegt haben. Ich bin der Testamentsvollstrecker eurer Eltern. Das heißt, ich werde ihr gewaltiges Vermögen verwalten und entscheiden, wohin ihr Kinder kommt. Wenn Violet volljährig ist, gehört das Vermögen euch, aber bis ihr alt genug seid, wird die Bank sich darum kümmern.«
Obwohl er gesagt hatte, dass er der Vollstrecker des Testaments sei, hatte Violet ein Gefühl, als ob Mr. Poe der Vollstrecker eines Urteils wäre. Er war einfach den Strand entlang zu ihnen gekommen und hatte ihr Leben für immer verändert.
»Kommt mit«, sagte Mr. Poe und reichte ihnen die Hand. Um sie ergreifen zu können, musste Violet den Stein fallen lassen, den sie darin hielt. Klaus nahm ihre andere Hand, und Sunny nahm Klaus’ andere; so wurden die Baudelaire-Kinder – nun die Baudelaire-Waisenkinder – vom Strand und aus ihrem bisherigen Leben weggeführt.
Zwei
Es hat keinen Sinn, dir zu schildern, wie furchtbar sich Violet, Klaus und sogar Sunny in der folgenden Zeit fühlten. Wenn du jemals einen Menschen verloren hast, der dir sehr wichtig war, dann weißt du, wie sich das anfühlte, und wenn nicht, dann kannst du es dir auch nicht vorstellen. Für die Baudelaire-Kinder war es natürlich besonders furchtbar, weil sie zur selben Zeit beide Eltern verloren hatten, und ein paar Tage lang fühlten sie sich so elend, dass sie kaum
das Bett verlassen konnten. Klaus stellte fest, dass er sich nur noch wenig für Bücher interessierte. Die Zahnräder in Violets erfindungsreichem Gehirn schienen stillzustehen. Und sogar Sunny, die natürlich zu klein war, um ganz zu verstehen, was vor sich ging, war mit weniger Begeisterung dabei, Sachen zu zerbeißen.
Selbstverständlich wurde alles auch dadurch nicht leichter, dass sie mit ihren Eltern zugleich ihr Heim und ihre ganze Habe verloren hatten. Wie du sicherlich weißt, kann eine traurige Lage oft dadurch ein wenig besser werden, dass man sich im eigenen Zimmer befindet, im eigenen Bett. Aber die Betten der Baudelaire-Waisenkinder waren nur noch ein Haufen verkohlter Asche. Mr. Poe hatte die Kinder zu den Überresten der Baudelaire-Villa mitgenommen, um nachzuschauen, ob irgendetwas verschont geblieben war, und es war einfach fürchterlich: Violets Mikroskop war in der Hitze des Feuers zusammengeschmolzen, Klaus’ Lieblingsfüller war zu Asche geworden, und Sunnys Beißringe waren ein einziger hässlicher Klumpen. Hier und dort konnten die Kinder noch Spuren der riesigen Wohnung erkennen, die sie so geliebt hatten: Bruchstücke ihres Flügels, eine formschöne Flasche, in der Mr. Baudelaire seinen Kognak aufbewahrt hatte, das versengte Kissen von der Bank am Fenster, auf der ihre Mutter so gerne gesessen und gelesen hatte.
Nachdem ihr Heim also zerstört war, sollten sich die Baudelaire-Kinder von ihrem furchtbaren Verlust bei den Poes erholen, dort aber konnte man sich überhaupt nicht wohl fühlen.
Mr. Poe war kaum zu Hause, denn er war sehr damit beschäftigt, sich um die Baudelaire-Angelegenheiten zu kümmern, und wenn er zu Hause war, hustete er oft so stark, dass man sich kaum mit ihm unterhalten konnte. Mrs. Poe kaufte für die Waisen groteske bunte Kleidungsstücke, die zudem kratzten. Und die zwei Poe-Kinder – Edgar und Albert – waren laute und abscheuliche Jungen, mit denen sich Violet, Klaus und Sunny ein winziges Zimmer teilen mussten, in dem es nach irgendeiner grässlichen Blume roch.
Dennoch hatten die Kinder gemischte Gefühle, als Mr. Poe bei einem langweiligen Essen mit gekochtem Hühnchen, gekochten Kartoffeln und blanchierten grünen Bohnen – das Wort »blanchiert« bedeutet hier ebenfalls »gekocht« – ankündigte, dass sie das Haus am nächsten Morgen verlassen sollten.
»Gut«, sagte Albert, dem ein Stück Kartoffel zwischen den Zähnen klebte. »Dann kriegen wir endlich unser Zimmer zurück. Ich hab die Nase voll davon, es teilen zu müssen. Violet und Klaus blasen die ganze Zeit nur Trübsal und sind überhaupt nicht lustig.«
»Und die Kleine beißt«, ergänzte Edgar und warf einen Hühnerknochen auf den Boden, als wäre er ein Tier im Zoo und nicht der Sohn eines angesehenen Mitglieds der Bankenwelt.
»Wohin kommen wir?«, fragte Violet ängstlich.
Mr. Poe machte den Mund auf, um etwas zu sagen, wurde aber erst einmal von einem kurzen Hustenanfall geschüttelt. »Ich habe alles in die Wege geleitet«, sagte er schließlich. »Ihr werdet von einem eurer entfernten Verwandten aufgezogen. Er lebt ganz am anderen Ende der Stadt und heißt Graf Olaf.«
Violet, Klaus und Sunny schauten sich an und waren nicht sicher, was sie davon halten sollten. Einerseits wollten sie nicht länger bei den Poes leben. Andererseits hatten sie noch nie von Graf Olaf gehört und konnten demnach auch nicht wissen, was für ein Mensch er war.
»Der letzte Wille eurer Eltern«, sagte Mr. Poe, »bestimmt, dass ihr auf eine möglichst angemessene Art und Weise aufgezogen werden sollt. Hier in der Stadt werdet ihr eine vertraute Umgebung haben, und dieser Graf Olaf ist der einzige Verwandte, der innerhalb der Stadtgrenzen lebt.«
Klaus überlegte, während er ein zähes Stück Bohne hinunterschluckte. »Aber unsere Eltern haben uns gegenüber nie einen Graf Olaf erwähnt. Wie ist er denn genau mit uns verwandt?«
Mr. Poe seufzte und blickte auf Sunny hinab, die auf einer Gabel herumbiss und aufmerksam zuhörte.
»Er ist entweder ein Cousin dritten Grades um vier Ecken herum oder ein Cousin vierten Grades um drei Ecken herum. Er ist nicht euer nächster Verwandter nach dem Stammbaum, aber der nächste geographisch gesehen. Deshalb …«
»Wenn er in der Stadt wohnt«, sagte Violet, »warum haben unsere Eltern ihn dann nie zu uns eingeladen?«
»Vielleicht, weil er sehr beschäftigt ist«, sagte Mr. Poe.
»Er ist Schauspieler von Beruf und reist oft mit Theatertruppen um die Welt.«
»Ich dachte, er ist ein Graf«, sagte Klaus.
»Er ist beides, ein Graf und ein Schauspieler«, sagte Mr. Poe. »Also, ich will unsere Mahlzeit nicht vorzeitig beenden, aber ihr Kinder müsst noch eure Sachen packen, und ich muss zurück in die Bank, um zu arbeiten. Wie euer neuer gesetzlicher Vormund bin auch ich sehr beschäftigt.«
Die drei Baudelaire-Kinder hatten noch viele Fragen an Mr. Poe, aber er war schon vom Tisch aufgestanden, winkte ihnen flüchtig zu und verließ den Raum. Sie hörten, wie er in sein Taschentuch hustete, dann fiel die Haustür hinter ihm knarrend ins Schloss.
»Also«, sagte Mrs. Poe, »ihr drei solltet besser mit dem Packen beginnen. Edgar, Albert, helft mir bitte, den Tisch abzuräumen.«
Die Baudelaire-Waisen gingen ins Kinderzimmer und packten verdrossen ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Klaus betrachtete angewidert jedes einzelne der hässlichen Hemden, die Mrs. Poe für ihn gekauft hatte, faltete sie zusammen und legte sie in einen kleinen Koffer. Violet blickte sich in dem beengten, muffigen Zimmer um. Und Sunny kroch über den Fußboden, biss feierlich in jeden von Edgars und Alberts Schuhen und hinterließ darin kleine Zahnspuren, damit man sie nicht vergessen würde. Von Zeit zu Zeit blickten sich die Baudelaire-Kinder an, aber da ihre Zukunft so sehr in Nebel gehüllt war, wussten sie nicht, was sie sagen sollten.
Die ganze Nacht warfen sie sich in den Betten hin und her und fanden kaum Schlaf zwischen dem lauten Schnarchen von Edgar und Albert und ihren eigenen sorgenvollen Gedanken. Schließlich klopfte Mr. Poe an die Tür und streckte den Kopf ins Zimmer.
»Aufstehen, die Sonne lacht, ihr Baudelaires«, rief er. »Es ist Zeit für euch, zu Graf Olaf zu gehen.«